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Warum scheitern neurodivergente Kinder an der Schule?

Die Gehirne von neurodivergenten Kindern sind genauso lernbereit wie neurotypische, aber sie lernen anders. Wenn man sich darauf einlässt nachzuvollziehen, wie dieses andere Denken funktioniert, kann man Unterricht und Lehrmittel so anpassen, dass auch für neurodivergente Kinder ein effizientes und effektives Lernen möglich ist! Mit der entsprechenden Förderung erfahren neurodivergente Kinder, wie sie ihr Andersdenken erfolgreich einsetzen können.

Im Folgenden möchte ich drei fiktive Fallbeispiele nennen, um diese Tatsache zu illustrieren.

 

L. kann im Hallenbad im Rückencrawl schwimmen. Im Freibad kann er es nicht; wie ein Stein taucht er ab. L. hat Dyspraxie, eine Hirnfunktionsstörung im motorischen Bereich, welche auch Transferleistungen des Gehirns erschwert. Für L. sind „Hallenbad“ und „Freibad“ zwei grundverschiedene Leistungssituationen, und er muss den Rückencrawl im Freibad erst wieder von Grund auf erlernen.

M. hat einen Sinn für Details. Sein Ideenreichtum ist gross und er ist ein kreativer Problemlöser. Wenn M. von 20 rückwärts nach 0 zählen muss, dann lässt er einige Zahlen aus. Denn der Vogel im Garten pfeift so laut. M. hat ADHS, und das Fokussieren auf eine einzige Sache macht seinem Gehirn Mühe.

R. denkt blitzschnell und merkt sich alles in Sekunden. Wenn R.s Schulfreund weinend seinen Rat sucht, hat er keine Ahnung, worum es geht und wendet sich genervt ab. R. hat das Asperger Syndrom. Es fällt ihm schwer, im Gesicht seines Freundes zu lesen, und er steht ratlos vor sozialen Konventionen.

Alle drei Kinder sind normalintelligent. Im standardisierten Schulsystem fallen sie aber immer  wieder durch die Maschen:

L. zum Beispiel wird den Schwimmtest nicht bestehen, weil er im Freibad stattfinden wird, welches er nicht gut kennt.

 

M. wird im Klassenlagerbericht in schönen Worten schildern, wie es im Museum gerochen hat, wie weich die Tierfelle waren und weshalb T. zweimal aufs Klo musste. Die Lehrerin bewertet seine Berichterstattung mit „ungenügend“.

 

Und R. erhält im Zeugnis im Sozialverhalten zwei –, weil er seine Mitschüler immer nur kritisiert, ihnen aber nie lobend zur Seite steht.

Eine angepasste Pädagogik würde jedoch allen drei Kindern ermöglichen, ihre volle Leistungsfähigkeit zu zeigen:

L. muss denselben standardisierten Schwimmtest absolvieren wie seine Klassenkameraden, aber er wird in dem ihm wohlbekannten Hallenbad durchgeführt. L. besteht den Test.

M. erhält vor dem Museumsbesuch ein Blatt mit konkreten Fragen zum Thema, die er innerhalb seines Berichts beantworten muss. Somit ist für ihn klar, was wesentlich ist, und was nicht erwähnt zu werden braucht. Er erhält ein „Gut“ für seinen Aufsatz.

R.s Mitschüler lernen, ihn konkret nach Hilfe zu fragen, wenn sie welche von ihm wollen. R. übt sich darin, seine Kritik konstruktiv rüberzubringen. R. erhält im nächsten Zeugnis ein + im Bereich Sozialkompetenz.

Natürlich ist es nicht immer ganz so einfach, die Lernsituation anzupassen bzw. die Lernumgebung optimal zu gestalten. Aber oft sind es tatsächlich die ganz kleinen Dinge, welche einen grossen Unterschied machen! Zumindest bewirkt eine individuelle Förderung beim neurodivergenten Kind, dass es selbstsicherer wird und (wieder) mehr Freude am Lernen hat – und das ist schon die halbe Miete!

C. Jäggi, Jan. 2017

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